In der Ausstellung „122 Jahre Alte Schule Hindfeld“ am 7. und 8. September 2024, zum bundesweiten „Tag des offenen Denkmals“, wurden Fundstücke aus der Alten Schule in Hindfeld gezeigt, auf die wir während der mehrjährigen Restaurierungsarbeiten stießen. Nachfolgend veröffentlichen wird die vollständige Dokumentation.
Die uns von AusstellungsbesucherInnen freundlicherweise überlassenen Geldspenden haben wir vollständig an die Deutsche Stiftung Denkmalschutz weitergeleitet.
Wissenschaftsbasierter Sachunterricht an Volksschulen.
Wandtafeln zur mathematischen Geographie von Rudolf Schmidt. Rückseitig Reklameeindruck, Stempel Volksschule Hindfeld und handschriftliche Notizen (Sütterlin) Inv.No. 49a und Invent. C 17 / l sowie den Titel der Tafeln.
Diese zwei Wandtafeln dürften die ältesten erhaltenen Lehrmittel aus der Alten Schule sein. Sie stammen offenbar aus der Gründungszeit der Schule, also noch aus der Kaiserzeit, wie sich aus dem rückseitigen Reklameeindruck des Leipziger Schulbilderverlag von F. E. Wachsmuth schließen lässt: Dort wird u. v. a. eine Wandtafel Die Kaiserproklamation zu Versailles am 18. Januar 1871 beworben. Wissenschaftlich korrekt und ästhetisch ansprechend sind auf (1) und (2) Sonnen- und Mondfinsternisse und die BEWEGUNG DER ERDE UM DIE SONNE dargestellt. Die Tafeln sind Belege für einen offenbar anspruchsvollen Sachunterricht an der Volksschule Hindfeld.
Wie lange werden diese Tafeln benutzt worden sein?
Wie lange werden sie nicht mehr an dieser Wand gehangen haben?
Idyllische Landschaftsdarstellung und nüchterne Märchenwelt.
Wandtafeln DER BODENSEE BEI LINDAU (3) nach Ad. Lehmann’s geogr. Charakterbilder des Leipziger Schulbilderverlag von F. E. Wachsmuth, und Dornröschen / Nach einem Original von L. Martin (4) aus dem Verlag der praktische Schulmann Stuttgart / Nr. 207 von 1936, Produktion Offsetdruckerei Fricke & Co. / Stuttgart. Rückseitig handschriftliche Notizen (Sütterlin) (3) Der Schule von Hindfeld gehörig und der Titel, bei Fundstück (4) I. 36 und Titel.
Diese zwei Wandtafeln stammen aus zwei um die 20 Jahre auseinander liegenden Zeiten. Der BODENSEE (3) ist in seiner romantisch-idealisierten Landschaftsauffassung noch ganz dem 19. Jahrhundert angehörig, aus dem die Stahlstich-Vorlage stammt. Das Stück stammt eindeutig noch aus der Kaiserzeit. Dornröschen (4) ist mit seiner flächigen, klarfarbigen Gestaltung hingegegen ein moderneres Lehrmittel, welches offenbar die kindliche Vorstellungskraft von unter Zehnjährigen berücksichtigen soll. Die vier plakativ ausgeführten Szenen aus dem bekannten Märchen der Gebrüder Grimm werden für Nacherzählungsübungen verwendet worden sein. Der schwarze Hintergrund soll wohl für klare Erkennbarkeit auch auf größere Entfernung sorgen.
Alte Schule als Verwaltungssitz von Hindfeld.
Ortsbebauungsplan Hindfeld, gez. von Carl Amend, 24.8.1890 (5), und Flurplan Die Flur von Hindfeld, gez. von (unleserlich) 1890 (6), verso beschriftet mit Invent. C 48; Tusche und Deckfarben auf Pergament, Rückseitig verstärkt durch Leinen.
Diese beiden Ortspläne sind u. E. die wertvollsten Fundstücke, zugleich die am schwersten beschädigten. Sie werden dem ehemaligen Bürgermeisteramt zuzuordnen sein. Der Ortsbebauungsplan (5) zeigt in präziser Vermessung alle Gebäude im Ort. Die Alte Schule ist später als Planentwurf in Bleistift eingetragen worden. Schön zu sehen ist die Ortsanlage als Rundling, eine Siedlungsform aus der Frühzeit des hochmittelalterlichen Landesausbaus und Beleg für das hohe Alter von Hindfeld. Interessant sind die vielen schmalen Äcker, direkt an den Hofstellen anschließend, und die alten Flurnamen. Der Flurplan (6) ist freier interpretiert und zeigt wohl den damaligen Landbesitz der Gemeinde. Die Ortsbebauung ist kurioserweise nur durch ein einziges stilisiertes Gutshaus bezeichnet, zu dessen Türen die Straßen nach Breitensee und Gleichamberg führen. Neben den Flurnamen scheinen Teils auch die Namen der Besitzer oder Grunddienstbarkeiten auf den Flurstücken genannt zu sein.
Nationalistische Idealisierung und indirekte NS-Propaganda.
Wandtafel Deutsche Bauernhöfe / Nach einem Entwurf von Dr. Ing. E. Rulke gezeichnet von R. Oeffinger aus dem Verlag Der praktische Schulmann Stuttgart / Nr. 213 von 1937, Produktion Offsetdruckerei Fricke & Co. / Stuttgart. Rückseitig handschriftliche Notiz (Sütterlin) I. 39. und Titel.
Diese Wandtafel erscheint auf den ersten Blick harmlos, ist aber bereits durchsetzt mit NS-Propaganda. Die Schüler erhielten statt des wissenschaftsbasierten Sachunterrichtes (→ 1, 2) mit dieser Tafel eine Unterweisung in NS-Ideologie. „Deutsche Bauernhöfe“ sind nicht auf der Tafel zu sehen, eher Bauernhöfe im deutschen Reichsgebiet, wie der Westfälische Hof oder der Thüringische Hof, benannt also nach Volksstämmen, die diese Siedlungsformen entwickelten. Die NS-Propaganda ist in den eingezeichneten Grenzen zu erkennen, die der NS-Ideologie entsprachen: Gestrichelt sind die Gebietsverluste aus dem Versailler Vertrag von 1919 eingetragen, den die Nationalsozialisten rückgängig machen wollten, um neben den völkerrechtlich abgetretenen Gebieten u. a. die vermeintliche „Kriegsschuldlüge“ der Entente zu tilgen. Dieses revisionistische Detail hat mit dem eigentlichen Inhalt dieses Lehrmittels überhaupt nichts zu tun.
NS-Gleichschaltung und chauvinistisches Rollenbild.
Lebendige Zahlen / Rechenbuch für die erste Klasse, Diesterweg Verlag, Frankfurt 1937. Im Frontispiz handschriftliche Namenseintrag (Sütterlin) Elfriede S. Jahrg. 1. Gefunden im Kinderversteck von Elfriede L. ( →10, 11, 12).
Dieses Rechenbuch für die erste Klasse ist ein beredtes Beispiel für die Gleichschaltungspolitik im NS-Staat und das rückwärtsgewandte Rollenbild, welches den Schülern vermittelt werden sollte. Während die Jungen in Hitlerjugend-Uniformen in einem Zeltlager raufen (8), sitzen die Mädchen in ihren BDM- Kleidern brav beieinander und singen (9). Ziel [der Erziehung im Nationalsozialismus] war es, die sogenannte „arische“ Jugend zu „rassenbewussten Volksgenossen“ zu formen, „ihre jugendlichen Körper zu stählen“ und sie zu überzeugten Nationalsozialisten zu erziehen. (→Wikipedia)
Alle Schullehrer hatten daran mitzuwirken und entsprechend dem Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) beizutreten – oder wurden aus dem Schuldienst entfernt. – Neben diesem Schulbuch, aus dem Kinderversteck zwischen den alten Dachziegeln, fanden sich Reste weiterer eindeutiger Bücher aus der Zeit, jedoch vollständig von Mäusen und Feuchtigkeit zerfressen.
Waffenfund in der Alten Schule.
Französisches Tüllenbajonett von 1822 (?) [→https://www.kpemig.de] oder 1845 (?) [→ https://schuerer-pku.de.
Dieses Tüllenbajonett aus dem 19. Jahrhundert fand sich im Abbruchschutt des Kaminkopfes an der Nordwestseite des Hauses. Möglicherweise war dort ein illegales Gewehr versteckt worden und das Bajonett beim herausziehen im Kamin hängen geblieben. Das Gewehr könnte sich vielleicht im Gemeindebesitz befunden haben: Die Königlich Preußische Landgendarmerie führte im 19. Jahrhundert Gewehre mit ständig aufgepflanztem Bajonett. Das wird hier, im ehemaligen Herzogtum Sachsen-Meiningen, nicht anders gewesen sein. Die Rohrschelle an (9) weist als Funktionsdetail auf solch eine Dauermontage hin. Der Bürgermeister könnte als Ortspolizeibehörde von Amts wegen über eine solche Polizeiwaffe verfügt haben (ob ein Gendarm in Hindfeld ansässig war, konnten wir nicht herausfinden). Oder es ist ein „Andenken“ aus irgendeinem Feldzug, von denen es im 19. Jahrhundert viele gab. Zur Zeit des Baues der Alten Schule 1902 dürfte das Stück bereits eine Antiquität gewesen sein, deren man sich vielleicht auf die beschriebene Weise entledigt hat; oder es kam in den Revolutionswirren von 1918 – 1919 in den Kamin.
Besonderer Fund: Schätze aus einem Kinderversteck.
Zwei Laubsägearbeiten: Motiv nach dem Märchen Die Sterntaler der Gebrüder Grimm (10 a), bemalt mit Wasserfarben; Indianer am Lagerfeuer (unfertig, 10 b); Bauklötzchen aus Holz, ggf. aus einem frühen Systembaukasten für Kinder (10 c). Auf Tafel 11: Schulgriffel für die Schiefertafel (11 a), Sparmarkenalbum „für Elfriede L.“ [In diesem Versteck lag auch das Rechenbuch (8)]
Kinder haben zwischen alten Dachziegeln auf dem Dachboden ihre Schätze versteckt, wahrscheinlich schon in den vierziger Jahren; es war seitdem unentdeckt geblieben: Die Gegenstände lagen sorgfältig angeordnet in einer Kartonschachtel, die wie die Papiereinfassung des Griffels (11) vollständig verfallen war. Die Laubsägearbeiten (10 a und b) scheinen eher auf einen Jungen hinzuweisen, das Album „Sparmarken für Elfriede L.“ (11 b) gehörte sicherlich der gleichnamigen Tochter des Lehrers L., Jahrgang 1930. Von Elfriede ist das Einschulungsbild von 1936 in einer Dorfchronik zu sehen (S. 151 b), aufgenommen vor der Eingangstür der Schule. Möglicherweise haben die Kinder das Rechenbuch (8) aus den gleichen Gründen versteckt, aus denen ein Erwachsener die in (8) erwähnten Bücher (mit eindeutig NS-Ideologischem Inhalt) versteckt hat.
Aufbruchstimmung in den Anfängen der DDR.
Postkarte Meldung zur Spezialschule für Leiter des künstl. Volksschaffens, wohl Anfang der 50er Jahre, unbenutzt (12 a); FDJ-Gastdelegiertenkarte zur Kreisdelegiertenkonferenz der freien deutschen Jugend am 26. und 27.Mai 1951, ausgestellt zunächst auf Horst S., Römhild / Möbelwerk, später handschr. geändert auf Ude L.; offenbar unbenutzt geblieben (12 b).
Die Postkarte lag sorgfältig in die Gastdelegiertenkarte eingelegt im Schutt auf dem Dachboden. Warum sie dort niedergelegt wurden, ist aus der Fundstelle nicht ersichtlich gewesen. Die Stücke werden zufällig dahin geraten sein, denn beide weisen auf damals ganz normale Vorgänge hin, die wahrscheinlich als Auszeichnung galten. Eine Person Namens Ude L. konnten wir nicht ausfindig machen. Der Lehrer L., nach erwähnter Dorfchronik bis 1953 im Amt, hatte aber eine Tochter Namens Ute L., Jahrgang 1932. Vielleicht ist es bei der Umschreibung der Gastdelegiertenkarte einfach zu einem Schreibfehler gekommen.
Harmonium.
Harmonium oder Aerophon, Bauart nach dem französischen oder Debain-System, ein sog. Druckwindharmonium (erkennbar am Expressionszug) mit zwei Schöpfbälgen.
Wir nahmen an, dass dies Harmonium dem Musikunterricht in der Schule gedient hat. Eine Nachbarin erzählte jedoch, dass es der Kirchengemeinde gehört; also dürfte der Kirchenchor mit diesem Instrument in der Alten Schule geprobt haben. Es ist u. E. ein unbedingt erhaltenswertes Zeitzeugnis.
Das Instrument ist in besonders schlechtem Zustand, da es schon vor langer Zeit vom Holzwurm befallen wurde. Die beiden Tretschemel und ihre Aufhängungen sind völlig morsch. Es müsste dringend restauratorisch bearbeitet werden. Vielleicht könnte das Orgelbaumuseum Schloss Hanstein in Ostheim v. d. Rhön Hilfestellungen dafür geben; dort befindet sich eine umfangreiche Sammlung solcher Harmonien.
Die hier ausgestellten Gegenstände sind Eigentum der Gemeinde Hindfeld. Sie wurden nach dem Fund von uns notdürftig gereinigt und sorgfältig bis zu dieser Ausstellung verwahrt. Die Mehrzahl der Stücke bedürfen fachlicher Behandlung durch Restauratoren. Wir wollen diese Zeitzeugnisse der Gemeinde oder den Eigentümern nach Ausstellungsende zurückgeben. Hierfür bitten wir um Ihre Unterstützung.